Juli 2007 www.initiative.cc

Amerikas Rückzug

Die Autorität von US-Präsident Bush ist an einem vorläufigen Tiefpunkt angekommen: Die eigene Partei verlässt ihn, im Irakkrieg sind die USA nur noch Getriebene. Die Dämmerung der Regierung Bush hat begonnen.

Die Zeit scheint abgelaufen

12.07.2007 - Stefan Kornelius

In der amerikanischen Polit-Mythologie spielt der Goldwater-Moment eine wichtige Rolle - jener Augenblick im August 1974, als der mächtige Senator Barry Goldwater gemeinsam mit Kollegen dem in der Watergate-Krise halsstarrig ausharrenden Präsidenten Richard Nixon in einem Gespräch im Oval Office klarmachte, dass seine Zeit abgelaufen sei. Nixon trat am nächsten Tag zurück.

Sein Nachfolger George W. Bush erlebt zur Zeit so etwas wie ein permanentes Goldwater-Gefühl. Allerdings ist es wenig wahrscheinlich, dass er in seiner verzweifelten Lage Anlass zum Rücktritt sieht. Bushs Autorität ist eine Woche vor Beginn der parlamentarischen Sommerpause in den USA an einem vorläufigen Tiefpunkt angekommen. Es ist einsam geworden um den Präsidenten Die mächtigen Fürsten aus dem Senat entwinden ihm das Szepter. Die Abkehr der wichtigen republikanischen Senatoren Richard Lugar und George Voinovich von der amerikanischen Irak-Politik hat in Washington außergewöhnlich früh die Endphase der Präsidentschaft eingeleitet. Die eigene Partei verlässt Bush und signalisiert ihm, dass er zur Belastung wird für das Land, für einen potentiellen Nachfolger und für alle, die wiedergewählt werden möchten.

Der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses, Senator John Warner, - auf seine Art der Goldwater des Jahres 2007 - arbeitet mit den revoltierenden Senatoren an einem Gesetzentwurf, der eine Reduzierung der US-Truppen im Irak und deren endgültigen Abzug einleiten soll. Selbst wenn der Präsident die Schachzüge des Senats mit seiner Vetokraft ignorieren kann - die politische Botschaft aus Washington und auch aus Bagdad ist eindeutig: Bushs Irak-Politik ist von einer zerstörerischen Dynamik erfasst.

Die USA können Gewalt und Anarchie im Irak nicht aufhalten, sie steuern nicht mehr, sondern werden getrieben. Dem amerikanischen Präsidenten ist die politische und die militärische Initiative entglitten. Und Bush wird einen großen Strategiewechsel nicht mehr glaubwürdig vollziehen können.

Diese Erkenntnis ist im Herzen Amerikas angekommen und hat ein starkes Bedürfnis nach Rückzug ausgelöst. Die Regierung ist isoliert, bald wird eine Mehrheit im Parlament gegen den Präsidenten stehen. Amerika kennt nur noch sich selbst, sucht die Geborgenheit in den eigenen Grenzen. Zudem regieren bereits die Gesetze des Wahlkampfes, komplexe Analysen dringen nicht mehr durch. Das irakische Abenteuer wird durch die Regeln amerikanischer Innenpolitik beendet - genau so, wie es vor vier Jahren begonnen hat.

Amerika droht ein strategisches Desaster

Die ratlose politische Massenflucht entspricht einem tiefen Wählerwunsch, und sie gefällt einer müde gewordenen Öffentlichkeit, die nicht mehr nachvollziehen mag, welches strategische Kalkül ihre Regierung in diesem fernen Krieg verfolgt. Alle Durchhalteparolen aus dem Weißen Haus verhallen, Amerika will die Entscheidung jetzt, obwohl Bush sie nur zu gerne seinem Nachfolger überlassen würde.

Dieses überwältigende Bedürfnis nach einer Zäsur trägt nicht nur gefährliche isolationistische Züge, sondern es leitet das zweite strategische Desaster ein, das Amerika binnen weniger Jahre erleiden wird. Nach der fatalen Entscheidung zum Einmarsch in den Irak wird der panikartige Truppenabzug unkalkulierbare Folgen für das regionale Gleichgewicht haben. Die islamistischen Terrorpaten werden sich über neuen Zulauf freuen Amerikas Glaubwürdigkeit (und damit die des Westens überhaupt) wird noch weiter schwinden. Der Rückzug ist das Eingeständnis der Niederlage, der Konzeptionslosigkeit. Er offenbart einen eklatanten Mangel an strategischer und politischer Beweglichkeit in den Ländern der westlichen Welt.

Die Konsequenzen für die Region werden fatal sein: Der schiitisch-sunnitische Bürgerkrieg im Irak wird in voller Brutalität entbrennen, Irans regionale Hegemonie-Gelüste werden die Golfregion destabilisieren, und das Terrornetzwerk al-Qaida darf sich aufgefordert sehen, sein zerstörerisches Werk auch in Afghanistan zu Ende zu führen.

Europa hat sich zu lange weggeduckt

All das wird unendlich viele Menschenleben und auch ein paar politische Opfer fordern, bis letztlich auch der Nato-Generalsekretär seinen Hut genommen haben wird, weil er das Schicksal der Allianz an ihr Überleben in Afghanistan geknüpft hat.

Niemand kann dieses Szenario gutheißen. Niemand sollte schadenfroh auf Bush deuten oder hämisch den alten Spruch aus dem Porzellanladen aufsagen: Wer etwas zerbricht, der zahlt. Zu lange hat sich auch Europa vor dem Post-Saddam-Irak weggeduckt. Zu lange haben die Vereinten Nationen ihre Verantwortung beim Aufbau des neuen Staates gescheut. Der Irak ist zum exterritorialen Gebiet für die wichtigen Akteure der Geopolitik geworden.

Das Problem aber ist: Für Amerikas Niederlage zahlen nicht nur die moderaten Kräfte in den islamischen Ländern, die Rechnung wird überall präsentiert werden, auch in Europa. 17 Monate bleibt Bush noch im Weißen Haus. Sein außenpolitisches Kapital ist aufgebraucht, eine innenpolitische Agenda gibt es nicht mehr. Die lange Dämmerung hat begonnen. (SZ vom 13.7.2007)

Quelle: http://www.sueddeutsche.de/ausland/artikel/396/123225/

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