Juni 2013 www.initiative.cc

Gewaltfreie Kommunikation
Wege aus einer gewaltvollen Welt

Krieg der Worte ?


Es ist schon eine seltsame Welt in der wir leben – vor allem zur Zeit. Die Menschen sind in der Lage, auf den Mond zu fliegen, die höchsten Berge zu besteigen, in die Tiefen des Universums und des Atoms zu schauen und Herzen zu transplantieren, aber die Tiefen der menschlichen Seele bleibt ihm rätselhaft und unerschlossen. Das schlimmste daran ist, dass er nicht gelernt hat in Frieden mit sich und seinen Nachbarn zu leben.

Aber Krieg gibt es auch in fast jeder Ehe, in der Arbeitswelt, in der Nachbarschaft, in der Schule und in uns selbst. Oft ist es nur ein Kleinkrieg, meist ist der Auslöser für Ärger banal – aber die Summe unterdrückten Ärgers und unbefriedigter Bedürfnisse nach Respekt, Wertschätzung, Anerkennung und Sicherheit ist groß – und hochexplosiv. Das ist Wolfswelt.

Einer der weltweit seit über 30 Jahren bemüht ist Samen des Friedens, des Verständnisses und der Einfühlung auszusäen ist Marshall B. Rosenberg. Mit seiner Methode der „gewaltfreien Kommunikation“ (GFK), die auf einer „Sprache des Herzens“ bzw. einem Hören mit dem Herzen beruht, hat er schon viel erreicht. Er hat GFK in über 40 Ländern an Ausbilder, Schüler, Eltern, Manager, Ärzte, Psychologen, Anwälte, Friedensaktivisten, Gefangene, Polizisten und Geistliche weitergegeben und zahllose Konflikte geschlichtet. Kürzlich wurden 13000 Kinder in Jugoslawien in einem Großprojekt unterrichtet, Missverständnisse und Konflikte auf gewaltfreie Art zu lösen. Sein Buch wurde in ein Dutzend Sprachen übersetzt und seine Vorträge und Seminare sind voll und ausgebucht, wo er hinkommt. Das mag an seiner Ausstrahlung und Überzeugungskraft als auch an der tiefen Weisheit und transformierenden Kraft seines Ansatzes liegen. Das auch zunehmend spirituell orientierte Menschen von GFK angezogen sind, könnte einerseits damit als auch mit der dem Buddhismus ähnlichen Grund­haltung zusammenhängen. Wer Frieden im Außen will, muss Frieden im Inneren schaffen. Gewaltfreie Kommunikation bietet einen sehr effektiven und praktischen Weg dahin an.

Von Wölfen und Giraffen

In der bildhaften Terminologie von Rosenberg leben wir seit 8000 Jahren in einer Wolfswelt und sprechen eine Wolfssprache (egal ob in China, Russland, Amerika oder Deutschland). Der „Wolf“ bewertet und klassifiziert alles, er interpretiert, er kritisiert, er analysiert und er weiß immer was mit anderen nicht stimmt bzw. was sie falsch machen. Er lobt und straft bzw. droht mit Strafen (oder Liebesentzug). Er meint ein objektives Bewertungssystem zu haben und spricht in „Du-bist-Sätzen“. Er achtet auf Regeln und Normen, fühlt sich meist im Recht und sucht sofort nach Schuldigen. Allerdings resultiert daraus auch, dass er bei wolfsähnlichen (wertenden, kritisierenden) Aussagen an seine Adresse sich sofort schlecht, angegriffen, verletzt, schuldig oder nicht respektiert fühlt, was automatisch weitere wölfische Verhaltensweisen wie Rechtfertigung, Gegenattacken oder Verschließen auslöst usw.. Somit sind Wölfe (und Wölfinnen) meistens mit sich und ihrer Umwelt in emotionalen, mentalen und verbalen Krieg. Wolfsverhalten ist eine permanente Quelle von Gewalt, Macht und Ohnmacht.

Ich nehme mal an, dass Sie schon ein Dutzend Wölfe in Ihrem persönlichen Umfeld erkannt haben, aber haben Sie auch schon den Wolf in sich entdeckt? Der lauert hinter jeder Kränkung und hinter jeder Kritik auf seinen Einsatz und ist immer zur Verteidigung oder Gegenangriff bereit. Nach der Theorie der „Gewaltfreien Kommunikation“ ist die Wolfssprache der missglückte Versuch, ein (in dem Moment nicht bewusstes) Bedürfnis auszudrücken. Dazu kommt, dass wir selten gelernt haben, unsere Bedürfnisse und Gefühle überhaupt offen zu kommunizieren. Stattdessen erwarten wir, dass andere sie selbstverständlich (er)kennen.
Empathie mit anderen Menschen tritt nur auf, wenn alle vorgefaßten Meinungen über sie abgelegt werden.

Die „Giraffe“ dagegen spricht und hört mit dem Herzen. (Sie ist das Landtier mit dem größten Herzen). Sie achtet auf ihre Gefühle und ist sich der dahinter liegenden Bedürfnisse bewusst und sie achtet auch auf die Gefühle der Anderen, bzw. versucht deren Bedürfnisse herauszufinden. Sie trennt - und das ist ganz wichtig - Beobachtung und Bewertung und bittet und wünscht, statt zu fordern. Sie hat gelernt Angriffe, Vorwürfe, Kritik und Beleidigungen nicht persönlich zu nehmen, sondern sie in Gefühle und unerfüllte Bedürfnisse zu übersetzen. Sie hört sie entweder heraus oder sie fragt einfühlsam nach. Um dies verständlicher zu machen, werde ich es mit ein paar Beispielen verdeutlichen.

Nehmen wir ein paar typische Vorwürfe:

Stell Dich nicht so an! Wie kannst Du so etwas nur tun? Du bist so egoistisch!

Nach Rosenberg gibt es dazu 2 „wölfische“ und 2 „giraffische“ Reaktionsmöglichkeiten:

1.) wir geben uns selbst die Schuld, d.h. nehmen es persönlich, fühlen uns schuldig oder schlecht. Reaktion: Scham, Angst, Reue, Unsicherheit, beleidigt, verletzt, Trotz, Rechtfertigung
2.) Wir geben dem anderen die Schuld und greifen ihn an:“ Was bildest Du Dir ein?“, „Wie kannst Du so was sagen?“, „Schau Dich doch mal an!“

Daraus ergibt sich zwangsläufig ein unbefriedigender leicht eskalierender Pingpong-Dialog mit dem Schlusssatz: „Du hast keine Ahnung!“ – „Du verstehst mich nicht!“

Um giraffisch reagieren zu können, muss man zwei Grundannahmen des GfK verstanden haben:

1.) Was andere sagen oder tun mag ein Auslöser für unsere Gefühle sein, ist aber nie die Ursache - und umgekehrt: was ich sage oder tue, mag Auslöser für Gefühle beim anderen sein, ist aber nie die Ursache. Kurz: Keiner kann dir Gefühle machen! Wenn Du dich über etwas ärgerst ist es dein Problem. Allein dieses Wissen nimmt enorm viel Sprengkraft aus jedem inneren und äußeren Konflikt.
2.) Jemanden zu verstehen, heißt nicht, ihm recht zu geben!

Niemand kann einem anderen Menschen Gefühle machen

Angenommen a) der Partner kommt zu spät oder b) der Nachbar ist zu laut. Wir ärgern uns und geben dem anderen die Schuld dafür. Tatsache ist jedoch: unsere enttäuschten Erwartungen, Werte, Vorannahmen, wie der Nachbar oder Partner sich verhalten sollte, sind die Ursache für den Ärger – das Geräusch oder das Zuspätkommen nur der Auslöser.

Dies ist wichtig für den eventuellen Dialog, ob er wölfisch oder giraffisch geführt wird, Streit oder Verständnis fördernd wird.
Eine Giraffe trennt in ihren Aussagen deutlich deine Welt und meine Welt, Tatsache (Auslöser) und Gefühl – deine Bedürfnisse und meine Bedürfnisse. Sie würde zum Beispiel sagen:

a)  Die Tatsache, dass Du nicht zur vereinbarten Zeit da warst, hat mich ärgerlich (traurig, nervös, besorgt) gemacht.
b)  Als Sie nachts um 2 Uhr laut Musik gehört haben, habe ich mich geärgert, weil ich mir wünsche, dass mein Bedürfnis nach Rücksichtnahme und ausreichendem Schlaf respektiert wird.

Spüren Sie selbst mal den Unterschied als angesprochener Nachbar im Vergleich zu der wölfischen Aussage „Es ist eine Unverschämtheit, nachts so einen Lärm zu machen und so rücksichtslos zu sein!“ Ich weiß, Sie denken jetzt sicher: „Warum so nett sein, ich habe doch recht? – So was macht man nicht!“ Frei nach dem „Kurs in Wundern“ sagt Rosenberg dazu: „Willst Du recht haben oder glücklich sein?“ oder politisch gesehen: Krieg oder Frieden! Wenn der Mensch hier nicht lernt umzudenken, hat er auf Dauer auf diesem immer enger werdenden Planeten mit immer weniger Ressourcen keine Überlebenschance! Glück und Frieden gibt es nur, wenn die Bedürfnisse aller gleichwertig befriedigt werden – und dazu müssen aber sie richtig ausgedrückt und angemessen kommuniziert werden.

Spätestens an dieser Stelle wird deutlich welche globale und spirituelle Dimension in Rosenbergs praktischem Ansatz für den inneren und äußeren Frieden liegt.

Es sind schlicht wertende Vorurteile, die am Beginn fast jeden Konfliktes stehen

Zurück zu obigem Lärmbeispiel und der Aussage „Es ist eine Unverschämtheit, nachts so einen Lärm zu machen und so rücksichtslos zu sein!“ Das sind zwei Wertungen und eine Unterstellung mit dem Tenor „Ich bin im Recht, der andere ist im Unrecht“. Damit haben wir wenig Chance gehört zu werden. Wir wissen nicht, ob der Nachbar sich der Lautstärke überhaupt bewusst war. In seiner Welt bzw. aus seiner Sicht war es vielleicht wunderbare Musik. Wir wissen nicht, ob der Partner vielleicht im Stau stecken beblieben ist oder gar eine Unfall hatte. Es sind schlicht wertende Vorurteile, die am Beginn fast jeden Konfliktes stehen.

Möchten wir, dass sich daran etwas verändert, müssen wir anfangen, unsere fast automatischen (da unbewussten) Bewertungen unserer Mitmenschen zu stoppen und zu hinterfragen, zum Beispiel mit der Frage: „Kann ich wirklich wissen, dass das wahr ist?“ Zu mindestens 90% werden Sie mit Nein antworten müssen.

Aber nun weiter im GfK-Prozess :

Zwei Schritte haben wir kennengelernt, der Dritte war im Beispiel b bereits enthalten: die Äußerung meines Bedürfnisses (nach Respekt und Rücksichtnahme). Der vierte Schritt ist die Formulierung einer konkreten Bitte, also im gleichen Beispiel: „Ich möchte Sie bitten, nach 22 Uhr Musik nur noch in Zimmerlautstärke Musik zu hören.“ bzw. „Ich bitte Dich, mir rechtzeitig Bescheid zu sagen, wenn Du nicht pünktlich sein kannst.“ Auf diese Weise fühlt sich der andere nicht angegriffen und kann frei Stellung nehmen, ohne sich verteidigen zu müssen.

Dieser als „Viererschritt“ bezeichnete Kerntechnik der gewaltfreien Kommunikation benutzt man solange, bis sie zu einer inneren Haltung geworden ist. Wenn also jemand einen Vorwurf macht oder uns kritisiert, habe ich je nach Situation (und eigener Kraft) zwei giraffische Alternativen.  Ein konkretes Beispiel. Der Vorwurf lautet: „Stell dich nicht so an!“

Perspektive a) meine Sicht, aus meiner Welt, mich betreffend:
Klar ausdrücken, wie es mir geht, ohne Vorwurf, Kritik oder Forderung

1.) Situation / Beobachtung / Auslöser
"Wenn ich dich das sagen höre ..."
Beobachten ohne zu bewerten
"wenn ich höre oder sehe ..."

2.) Gefühl
"fühle ich mich traurig / betroffen ..."
Unterscheiden zwischen Gefühl und Gedanke
"fühle ich mich.."

3.) Bedürfnis
"weil ich mir wünsche, dass ich ernst genommen werde"
Unterscheiden zwischen Wunsch und Bedürfnis
"weil ich .... bräuchte"

4.) Bitte
"Daher hätte ich gerne, dass Du sagst was dich genau irritiert oder ärgert."
Unterscheiden zwischen Bitte und Forderung, positiv, konkret
"Daher hätte ich gerne, dass ..."

Perspektive b) deine Sicht, deine Welt, dich betreffend, fragend, einfühlend:
Einfühlsam wahrnehmen, wie es meinem gegenüber geht, ohne Kritik, Vorwurf oder Forderung rauszuhören.

1.) "Wenn Du siehst, dass es schwer fällt, diese Arbeit zu machen ...
2.) fühlst Du dich dann unangenehm angesprochen ..
3.) weil Du es bräuchtest, dir keine Gedanken / Sorgen machen zu müssen ..
4.) und Du gerne hättest, dass ich ohne (deine) Hilfe auskomme?

Der Ton macht die Musik

Sie werden selbst gemerkt haben, dass hier ein ganz anderer Ton herrscht, der alle Tore für eine konstruktive Lösung öffnet, weil die Giraffe deine und meine Welt bzw. Bedürfnisse trennt und wertungsfrei nebeneinander stellt. Da werden selbst Wölfe weich, wenn sie sich nicht angegriffen sondern verstanden fühlen und ein Kompromiss ist sehr viel leichter zu erreichen. Marshalls Buch und seine Vorträge sind voller beeindruckender Beispiele wie man mit dieser Haltung selbst in verfahrendsten Situationen egal ob mit sich bekämpfenden Stämmen, Volksgruppen oder  Nachbarn, in der Schule, im Beruf oder der Familie Verständnis und Frieden herstellen kann.

Besonders in Ländern wie Bosnien oder Israel/Palästina trifft seine Methode auf großes Interesse und hat Einzug in viele zum Teil staatliche Institutionen und Einrichtungen gehalten. Ich selbst konnte in der relativ kurzen Zeit meiner Beschäftigung mit GFK als Therapeut und Supervisor erstaunliche Erfolge erzielen und bin dankbar über die rasante Ausbreitung dieses wahrlich friedenstiftenden Ansatzes. Bleibt zu hoffen, dass auch unsere Politiker Wind davon bekommen, auf das auch politisch bald ein neuer weht und die Saddams, Bushs und Sharons dieser Welt endlich abdanken.

Quelle und Text von David Luczyn: http://www.coaching-frankfurt.de/, oder http://www.paarcoaching-frankfurt.de/

Weitere Infos:

Bücher:
Marshall Rosenberg, Gewaltfreie Kommunikation, Junfermann Verlag
Ingrid Holler, Arbeitsbuch Gewaltfreie Kommunikation, Junfermann

Web: http://www.gewaltfrei-frankfurt.de/ oder http://www.gewaltfrei.de/ oder http://www.cnvc.org/


Dr. Marshall Rosenberg ist international bekannt als Konfliktmediator und Gründer des internationalen „Center for Nonviolent Communication“ in den USA. In den letzten 30 Jahren hat Dr. Rosenberg die Gewaltfreie Kommunikation in über 40 Ländern an Ausbilder, Schüler, Eltern, Manager, Ärzte, Psychologen, Anwälte, Friedensaktivisten, Gefangene, Polizisten und Geistliche weitergegeben. Kürzlich wurden 13000 Kinder in Jugoslawien in einem Großprojekt unterrichtet, Missverständnisse und Konflikte auf gewaltfreie Art zu lösen. Es gibt auch mittlerweile mehrere Schulprojekte, wo Lehrer auf diese Weise unterrichten. In Israel, wo Marshall Rosenberg regelmäßig aktiv ist, wurde im Jahr 2000 in über 1000 Kindergärten und ca. 70 Schulen ein Programm zur gewaltfreien Kommunikation durchgeführt, das vom Erziehungsministerium empfohlen wurde. Dieses Programm schließt alle religiösen Gruppierungen auch Araber und ultra-orthodoxe Juden mit ein und dauert zwischen 28 – 112 Stunden. Rosenberg lehrt in Europa und den USA und reist regelmäßig weltweit in Krisengebiete, um Mediationen anzubieten. In Amerika war Rosenberg nach dem 11. September in Dutzenden Talkshows eingeladen, um seine Sichtweise der Ereignisse darzustellen.

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